Gelebte Anarchie ist zwingend menschenfreundlich

Der Münsteraner Aktionskünstler Thomas Nufer lädt in diesen Tagen zur Woche der Freundlichkeit. Mit einem bunten Strauß an Aktionen und Veranstaltungen rund um das Miteinander der Menschen will Nufer „die Welt mit Freundlichkeit schockieren“. Heute (Mittwoch, 20. November) ging es um 10 Uhr mit einem Flashmob los. Am Abend (19.30 Uhr) ist die Freundlichkeit der Tiere (Gäste: der ehemalige Zoo-Direktor Jörg Adler und der Verhaltensforscher Norbert Sachser) Thema in der Stadtbücherei.

Am Dienstagabend hatte Nufer den Anarchisten Dr. Bernd Drücke zu Gast. Der verantwortliche Redakteur der libertären Monatszeitung Graswurzelrevolution, die seid 1972 für eine gewaltfreie und herrschaftslose Gesellschaft eintritt, gab einen Überblick über die Geschichte der Anarchie und verdeutlichte, dass Anarchisten nicht etwa Terroristen sondern Menschenfreunde seien. Drücke spannte einen Bogen von der antiken Anarchie (die Zeit zwischen dem jeweiligen Herrschaftsende und dem Beginn der Ära der neuen Staatsführung) über die Französische Revolution, als Anarchie allgemein als Schimpfwort für die politischen Vorstellungen des Gegenüber verwendet wurde, die erste positive Verwendung des Begriffs durch Pierre-Joseph Proudhon (15. Januar 1809 bis 19. Januar 1865), der Ökonom und Soziologe wurde insbesondere durch die Aussage „Eigentum ist Diebstahl“ bekannt, ins 19 Jahrhundert als in Spanien, aber auch in der Weimarer Republik, Anarchisten eine große gesellschaftliche Bedeutung erlangten.

Thomas Rufer (rechts) mit Lothar Hill (Münster Tube) lauschen Drückes Vortrag.

„In Spanien gab es die anarcho-syndikalistische Gewerkschaft CNT“, ging Bernd Drücke ins Detail: Die Confederación Nacional del Trabajo, in der „damals fast jeder Zehnte Spanier, insgesamt rund zwei Millionen der 23 Millionen Einwohner des Landes, organisiert waren, erkämpfte weltweit erstmals den Acht-Stunden-Arbeitstag.“ Sie organisierte im Widerstand gegen die Machtergreifung des Generals Francisco Franco im im Spanischen Bürgerkrieg den „kurzen Sommer der Anarchie“.

In der Weimarer Republik nutzten die Anarchisten die Freiräume. Knapp 200.000 Menschen in der Freie Arbeiter-Union Deutschland (FAUD) bekannten sich zur Anarchie. Die von der Gewerkschaft herausgegebe Wochenzeitschrift „Der Syndikalist“ erreichte in der Spitze eine Auflage von 120.000 Exemplaren. Erst 1938 gelang es den Nazis die letzten anarchistischen Bünde in Deutschland zu zerschlagen.

„Bis zu den 68ern gerieten libertäre Ideen und Gedanken in Deutschland in Vergessenheit. Die 68er wussten einfach nichts mehr über die starke libertäre Bewegung in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts“, erläuterte Dr. Bernd Drücke: „Aber die 68er setzten dafür die Anarchie wieder auf die gesellschaftliche Agenda.“ Auch die Graswurzelrevolution fußt auf der Bewegung.

Die Veranstaltungsankündigung bei Youtube / Freundliches Münster.

Was hat Anarchie mit Freundlichkeit zu tun? Anarchie sei zwingend menschenfreundlich, unterstrich der Vortragende, der nicht vergaß an Gewalttätigkeiten unter dem schwarz-roten Stern zu erinnern, aber betonte: „Anarchisten leiden an den Leiden der Anderen.“ Er verwies auf den türkischen, in Nordrhein-Westfalen geborenen Kriegsdienstverweigerer Osman Murat Ülke, der Ende der 90er Jahre, wegen seiner Weigerung Militärdienst zu leisten, insgesamt 701 Tag in Haft war: „Ülke wurde bewusst in eine Zelle mit einem Faschisten gesperrt. In der Haftzeit gelang es ihm, durch Freundlichkeit aus dem Rechtsradikalen einen Pazifisten zu machen.“

Hier die Doku der Veranstaltung. Gefilmt von Lothar Hill (Münster Tube / Münster von unten).

Zum Abschluss, nachdem er eigene positive, wenn auch wegen zwei Schlägen schmerzhafte Erfahrungen als freundlicher, junger, langhaariger Anarchist, der aber die weggenommene von seiner Mutter erstellte Mütze zurückbekam, Erfahrungen kund getan hatte, verwies Dr. Bernd Drücke auf die in der Anarchie systemimmanente „Ethik der Freundlichkeit“.

Thomas Rufer, Bernd Drücke und Detlef Lorber trugen ein Lied der anarchistischen West-Berliner Kabarettgruppe die 3 Tornados vor.

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